Grünräume werden in Zeiten von Klimawandel und Verstädterung immer wichtiger, auch als ökologische Ausgleichsflächen. Darum kommt der Begrünung von Dächern und Fassaden zur Verbesserung des Stadtklimas zunehmend Bedeutung zu. Der Kurstag von sanu future learning ag vom 9. September gab Ein- und Ausblicke auf und von den Dächern Zürichs. Text: Katharina Nüesch
Es gäbe mannigfaltige Möglichkeiten, mehr Grün in den urbanen Raum zu bringen. All die verwaisten, leeren oder schlecht unterhaltenen Dachflächen inmitten des vielen Betons böten sich dafür an. «Höchste Zeit, dass wir daran etwas ändern», so das Fazit eines Teilnehmenden am Ende des Kurses «Dachbegrünung: Biodiversitätsfördernder Unterhalt», der am 9. September in Zürich stattfand. Organisiert hatte ihn die Bieler sanu future learning ag*. Von der Terrasse der ehemaligen Toni-Molkerei im Trendquartier Zürich-West war die brach liegende Dachlandschaft besonders augenfällig. Von hier, vom achten Stock des Gebäudes, fällt der Blick auf die wachsende, moderne City. Richtung See und Alpen ist mit Primetower und anderen Hochhäusern eine Skyline entstanden. Die Terrasse zeigt Ernüchterndes: Beton, Asphalt, Aluminium, Stahl, Glasfassaden. Materialien, die sich stark aufheizen können und zur Erwärmung des Stadtklimas beitragen. Eine Tatsache, die aus der Vogelperspektive so richtig bewusst wird.
Dachbegrünung meist Pflicht
Im Theorieteil am Morgen verwies Referentin Christa Glauser, stellvertretende Geschäftsführerin von BirdLife Schweiz, auf die Hamburger Gründachstrategie. Diese lässt Flachdächern bei der Schaffung neuer innerstädtischer Grünflächen eine Schlüsselrolle zukommen (www.hamburg.de/gruendach). Auch in Schweizer Städten sind die klimatischen Leistungen von Pflanzen bekannt, etwa Kühlung durch Schatten und Verdunstung, Luftreinigung, Sauerstoffabgabe, Kohlenstoffbindung oder Aufnahme von Niederschlag. Intensiv begrünte Flächen strahlen bis zu fünfzig Prozent weniger Wärme ab; sie können drei bis fünf Grad kühlere Temperaturen bewirken. Auf Dächern kühlen sie die darunterliegenden Stockwerke. In den Bauordnungen vieler Gemeinden und der meisten grossen Schweizer Städte sind extensive Dachbegrünungen heute Pflicht.
Die Statik eines Daches definiert die Dicke des Sustrats; dieses wiederum bestimmt die Bepflanzung respektive die Biodiversität. Als Substrate eignen sich verschiedene leichte, wasserhaltende Materialien, wenn möglich aus der Umgebung. Substrate sollten ungleichmässig ausgebracht werden, sodass Mulden und Hügel entstehen. Das ermöglicht eine höhere Pflanzenvielfalt und verhindert «Sedum-Wüsten» respektive das Verdorren der sensibleren Pflanzen. Ab einer Substratdicke von 15 Zentimetern sind bereits vielfältige Lebensräume möglich. «Die Bepflanzung sollte aus möglichst einheimischen, standortangepassten und regionaltypischen Pflanzen bestehen. Gut durchgesetzt hat sich die Achtzig-Zwanzig-Regel», so Christa Glauser. Das heisst, dass 80 Prozent einheimische Pflanzenarten sind, 20 Prozent können nicht einheimische, standortangepasste Arten sein. Keine invasiven Neophyten — das dürfte sich von selbst verstehen. Allerdings scheint es etwa dem Einjährigen Berufkraut (Erigeron annuus) oder der Kaukasus-Fetthenne (Sedum spurium) — letztere wurde früher in Dachbegrünungsmischungen verwendet — in den luftigen Höhen gut zu gefallen. Sie, wie alle invasiven Neophyten, sind bereits beim ersten Vorkommen zu entfernen.
Damit ein Dach für Wildtiere als Lebensraum interessant wird, sollten entsprechende Strukturen geschaffen werden. Wildbienen beispielsweise benötigen sandige Substrate von mindestens 30 Zentimetern Dicke ohne Staunässe, auch dicke Totholzstrunke mit Käfergängen sowie hohle Stängel als Nistplätze. Von biodiversen Dachflächen mit vielen Kleinstrukturen profitieren vor allem Laufkäfer, Wildbienen, Heuschrecken, Spinnen und Vögel. Glauser betont jedoch, dass begrünte Dächer biodiverse Lebensräume am Boden keinesfalls ersetzen.
Unten weg, oben drauf
«Der Mensch muss auf den Dächern der Natur zurückgeben, was er ihr widerrechtlich unten beim Hausbau weggenommen hat», zitiert Stefan Brenneisen, Leiter der Forschungsgruppe Stadtökologie an der ZHAW in Wädenswil, in seinem Referat den österreichischen Künstler Friedensreich Hundertwasser (1928—2000), der sein mehrstöckiges, farbenfrohes Haus in Wien mit einem Dachwald bepflanzt hatte. Das zweite Zitat, respektive die Frage von Le Corbusier (1887—1965), wird auf der Terrasse des Toni-Hochhauses für die Kursteilnehmenden nachvollziehbar: «Ist es nicht wahrhaft wider alle Logik, wenn eine ganze Stadtoberfläche ungenutzt unter Zwiesprache der Schiefer mit den Sternen vorbehalten bleibt?» Ja, ist es, könnte man geradeaus antworten. Das Grau könnte sich mit etwas gutem Willen in Grün verwandeln!
Pflanzen im Kontext von Gebäuden werden noch immer als potenzielles Problem gesehen: Vernässung, durch Decken wachsende Wurzeln, Wasser, das ins darunterliegende Geschoss eindringt. Bei professioneller Planung, Ausführung und entsprechender Pflege gehören diese Befürchtungen ins Reich der Fabeln. Damit sie nicht eintreten, wird auf der Dachhaut eine Wurzelschutzschicht (wurzelfest = rhizomfest) aus Bitumen- oder hochpolymeren Dichtungsbahnen ausgebracht, darüber ein Schutzvlies, eine Drain- und Filterschicht und, sofern beispielsweise für eine Wasserstelle nötig, zusätzliche Schichten. Matten aus Gummischrot sind keine dauerhaften Lösungen und werden schnell zum Problem- und Kostenfaktor.
Stefan Brenneisen stellte verschiedene Typen begrünter Dächer vor, deren Erscheinungsbild unterschiedlicher nicht sein könnte: Paradebeispiele sind die Orchi-deendächer von Zürich-Wollishofen sowie des Spitals St. Gallen oder das artenreiche Dach des Jacob-Buckhardt-Hauses in Basel — allesamt Spitzenreiter in der Gründach-Hitparade. Doch was ist auf einem «durchschnittlichen Dach» überhaupt möglich?
Ruderalfläche bis Dachgarten
Dächer sind von extensiv bis intensiv nutzbar — vorausgesetzt ist die Abklärung durch Statiker. Ausgehend von der vorgesehenen Nutzung, lassen sich drei Haupttypen unterscheiden: erstens die Extensivbegrünung, zweitens die einfache Intensivbegrünung wie beispielsweise ein «Grasdach» oder drittens die aufwendige Intensivbegrünung à la Dachgarten. Bei den Typen zwei und drei sollte bedacht werden, dass die Vegetation auch auf Dächern eine Sukzession durchläuft.
Bevor eine Dachbegrünung angelegt wird, muss bei bestehenden Bauten die Tragfähigkeit des Daches abgeklärt werden. Neubauten sind bereits entsprechend gebaut, da ihre Begrünung heute vielerorts Vorschrift ist. In die Berechnungen der Tragfähigkeit gehören der wassergesättigte Substratzustand, Schneelasten und, sofern begehbar, das Gewicht von Menschen. Je nach Material und Dicke haben Substratschichten unterschiedliche Gewichte (siehe Tabelle oben).
Das Substrat sollte die Fähigkeit haben, die anfallenden Nährstoffe zu speichern, für das Wachstum der Pflanzen verfügbar zu halten und ein weitgehend selbstregulierendes Ökosystem zu ermöglichen. Auf dem Markt sind viele verschiedene Mischungen und Qualitäten erhältlich. Bims, mit dem leichtesten spezifischen Gewicht, ist teuer. Bei günstigeren Mischungen ist der Bimsanteil in der Regel geringer. Billigsubstrate bestehen oft fast ausschliesslich aus dunklem Lavagestein, welches sich aber stark erhitzt und damit die Austrocknung fördert. Viele Substrate sind zudem zu grobporig und weisen einen zu geringen Nährstoffanteil aus. Bei dünnen Substratschichten zeigt sich ein Wasser- und Nährstoffmangel an der niederen Zahl von Pflanzenarten: Nur wenige Sedum-Arten und Kräuter überleben. Um das System vital zu erhalten, müsste Nährstoffverlust mit Kompost kompensiert werden. Düngergaben widersprechen teilweise der Eidgenössischen Stoffverordnung sowie dem Gewässerschutzgesetz.
Kombination mit Photovoltaik
Auch mit Solarpanels bestückte Dächer müssen kein Hindernis sein, wie die Begehung des Daches im Kügeliloo in Zürich-Oerlikon zeigt, wo das Zürcher Opernhaus sein Kulissenlager betreibt. Allerdings ist hier auf dem Lava-/Bims-Substrat in der zweiten Vegetationsperiode ausser Sedum noch relativ wenig Grün zu sehen und unter Ästen und Strünken der kleinen Totholz-inseln sind keine Lebewesen auszumachen. An den wenigen Blütepflanzen, hauptsächlich Bohnenkraut (Saturaja hortensis), summt und brummt es nur spärlich. Eine Frage der Zeit? Oder sind es schlicht zu viele Interessen, die auf ein Dach projiziert werden? Aus Sicht der Energiegewinnung werfen Pflanzen Schatten auf die Panels, Ökologen wollen keine «Sedum-Wüsten», sondern eine hohe Biodiversität mit vielen einheimischen, möglichst regionaltypischen Arten. Und dies alles zu möglichst günstigen Konditionen — sowohl in Ausführung wie Unterhalt. Bei allem guten Willen spielt der Kostenfaktor leider meist die Hauptrolle. Tatsache bleibt: Das Dach ist in jeder Beziehung ein Extremstandort. Trotzdem ist sich Stefan Brenn-eisen sicher, dass es für die verschiedensten Situationen Lösungen gibt. Beispielsweise auch in der Kombination mit Photovoltaik wie im Kügeliloo: «Hier wurden die Panels im Schmetterlingssystem aufgestellt. Das heisst, sie haben einen Spalt in der Mitte, durch den Pflanzen wachsen können. Entweder greift der Unterhalt ein, jätet und mäht oder – deutlich kostenintensiver – man verschliesst die Spalten zwischen den Panels durch Leisten, damit keine Pflanzen hindurchwachen.» Die Kombination von Photovoltaik und Dachbegrünung ist keine unlösbare Aufgabe. Einerseits könnte eine Rückversetzung der Panels vom Dachrand oder ein entsprechender Abstand der Reihen günstigere Bedingungen für Pflanzen schaffen. Beide Varianten sind aus Sicherheits- und Unterhaltsaspekten ohnehin vorteilhaft.



